Im Blogeintrag Die Monster meiner Kinder habe ich ja bereits beschrieben, dass der Name „Klopfmänner“ von meinem damals zweijährigen Sohn stammt. Er gab diesen Namen den vermeintlichen Verursachern der Geräusche unter dem Dach unserer damaligen Wohnung. Und brachte damit letztlich die ganze Geschichte ins Rollen. Als ich ihm zu Weihnachten 2009 kurz vor seinem dritten Geburtstag die Geschichte der Weihnachtshexe Beffaná schrieb, war dies noch eine kurze Geschichte über die Begegnung der Weihnachtshexe mit dem Weihnachtsmann. Da die beiden Probleme mit der Auslieferung ihrer Geschenke haben, beschließen sie, sich für den letzten Teil des Wegs zusammenzutun um ihre Kräfte zu bündeln. Das PDF der ersten Geschichte vom Dezember 2009 habe ich hier verlinkt: beffana-und-der-weihnachtsmann.
Kapitel 19: Der Pläneschmied
Was kann eine kleine Maus schon tun, wenn selbst die Weihnachtshexe Beffaná keinen Ausweg findet? Eine ganze Menge, wie sich herausstellt! Ab jetzt ist kein Loch zu klein, kein Rohr zu dunkel und keine Telefonzelle zu groß. Denn die Rettung ist nur einen Anruf weit entfernt.
Werkstattbericht
Zu Knurps, dem Pläneschmied, hatte ich von Anfang an ein klares Bild vor Augen. Im Echtzeit-Strategie-Computerspiel Warcraft, einem Vorläufer des Dauerbrenners World of Warcraft, gab es auf Seiten der Menschen die Gyrocopter, von Zwergen gesteuerte Flugmaschinen. Die Piloten hatten, wenn man sie anklickte, immer ein paar trockene Sprüche drauf und waren als Kundschafter und Kämpfer ziemlich hilfreich. Gebaut wurden diese Einheiten ebenfalls von Zwergen in einer Erfinderwerkstatt. Allen ihren Erfindungen ist gemein, dass sie zumindest teilweise aus geschmiedetem Eisen bestehen, eine aufwändige (oder zumindest auffällige) Mechanik besitzen und mit einer äußerst rustikalen Lautstärke arbeiten.
Da ich in den 90ern viele Stunden mit diesen kleinen Kerlen zugebracht habe, ist es eigentlich logisch, dass einer ihrer Vettern irgendwann in einer der Beffaná-Geschichten auftauchen würden. Es gibt zwar eine kurze Personenbeschreibung des Pläneschmieds in der Geschichte. Aber ich war dann doch sehr überrascht und glücklich, wie gut Kai die Figur in seiner Zeichnung getroffen hat. Denn von der geistigen Vorlage hatte ich ihm nie erzählt. Der Pläneschmied, ab 19.12.2016, 00:01 hier auf www.beffana.net.
Kais Zeichnung für Beffaná:
Gyrocopter aus Warcraft:
Kapitel 18: Das verrückte Labyrinth
Weiße Weihnachten! Der Schnee fällt in dicken Flocken, der Abend dämmert und bald beginnt die Bescherung. Doch die Weihnachtshexe hat eine wirklich harte Nuss zu knacken. Der Zauberer Mino ist alles andere als in Weihnachtsstimmung und hat für Beffanás Geschenk nur Verachtung übrig. Was plant er nur und was hat es mit dem Muster im Schnee auf sich?
Enden
Ich hab ziemlich großes Glück. Erstens materiell. Der Faktencheck zeigt, dass es mir materiell besser geht, als vielen anderen Menschen. Zweitens aber auch: psychosozial. Ich bin von Menschen umgeben, die ich liebe und die mich lieben. Hauptgewinn. Auch leide ich nicht unter Depressionen oder anderen Krankheiten, die verhindern würden, dass ich meine tägliche Portion Glücksbotenstoffe bekomme. Darüber hinaus aber, und damit komme ich zum Punkt, kenne ich einen Trick. Besser gesagt, ich kann etwas überdurchschnittlich gut, das wir alle machen, ohne dass es vielen bewusst ist:
Ich kann mir mein Leben richtig erzählen.
Wir alle sind Erzähler. Wir denken in Sprache, wir fühlen sogar ein bisschen in Sprache! Wenn ich eine Gänsehaut habe und denke „Oh, Gänsehaut!“, dann verstärkt die Gänsehaut. Alles bewusste Nachdenken über uns hat große sprachliche Anteile. Auch wenn wir den Mund gar nicht aufmachen. Das klingt für die einen banal und für die anderen esoterisch. Aber der Punkt ist: Wir erzählen uns unser Leben fortlaufend selbst. Es ist nicht so, dass wir das Leben immer steuern können. Scheiße passiert, und ich kann mir dreimal sagen, dass es Zucker ist. Es bleibt zunächst mal Scheiße. Wenn man sich sein Leben aber richtig erzählen kann, wenn man also über die angemessene narrative Technik verfügt, kann man der Scheiße zum Beispiel eine andere Perspektive geben. Man kann ihr Kontext hinzufügen, der sie relativiert oder zumindest plausibler macht. Man kann sie mit Metaphern beschreiben, die eine Wendung zum Guten hoffen lassen. Man kann die Scheiße mit sprachlichen Mitteln wie Reimen oder gängigen Wendungen verspotten… Es gibt viele narrative Mittel, Krisen (er-) lebbar zu machen. Genauso kann ich Glück für eine Weile mithilfe von Sprache festhalten oder – noch wichtiger – zu einem gewissen Maß konservieren. Genauso, wie bei uns Menschen Denken und Sprechen untrennbar und bidirektional miteinander verknüpft sind, sind es auch Erleben und Erzählen.
Einer der populärsten narrativen Verkaufstricks (anderen, aber auch sich selbst gegenüber), ist das so genannte Happy End. Trick deshalb, weil es ja gar nicht existiert. Existieren kann. Denn: Wann genau endet etwas, und was genau ist eigentlich „happy“? Und vor allem: für wen? Das Happy End ist einfach der Beschluss eines Geschichtenerzählers, an einem bestimmten Punkt aufzuhören zu erzählen. Oder, aus der Sicht des Publikums: Aufzuhören zuzuhören. Den Saal zu verlassen. Einem Punkt, an dem die Figur mit der größten Leser/innen/-Empathie einen (letzten/überraschenden/ersehnten) Höhepunkt an Glück oder vermeintlich verdientem Schicksal erreicht. Wenn man versucht, sich sein eigenes Leben richtig zu erzählen, kann man durchaus mal versuchen diesen Trick anzuwenden. Die versaute Prüfung einfach nicht als Ende der Geschichte zu definieren, sondern als notwendige Durchgangsstation. Oder anders herum: Ein kleines emotionales Zwischenhoch einfach mal als Happy End einer Geschichte zu erklären. Fortsetzung folgt, aber erst mal wird ruhig und gut geschlafen. Mir ist schon klar: Das steht so ähnlich wahrscheinlich in jedem Sinnspruchbüchlein. Aber wenn man ernsthaft versucht, sich selbst sein Leben zu erzählen, wenn man mit Kontext, Perspektivwechseln ud ein paar sprachlichen Schenkelklopfern arbeitet, kann das funktionieren. Bei mir funktioniert es häufig. Manchmal erst im Nachhinein, aber okay.
In Ratgebern zu Kinderliteratur und Kindersendungen liest man ja manchmal, dass kleine Kinder Geschichten mit Happy End brauchen. Häufig wird dieser Ratschlag auch auf einzelne Kapitel bzw. Sendungen bezogen. Weil, schon klar: Ein schlimmes Ende bedeutet zunächst emotionalen Stress. Und kognitiven Aufwand. Wie sollen sich die Kinder die Geschichte selbst plausibel erzählen, wenn am Ende etwas Schlimmes passiert, oder zumindest die gute Auflösung ausbleibt? Sie verfügen noch nicht über die nötige Kompetenz, zu verstehen, dass sie es mit einem narrativen Mittel zu tun haben. Dass es möglicherweise eine Fortsetzung, oder ein weiteres Kapitel gibt. Oder dass man auch in Traurigkeit über ein Ende „baden“ kann. Dass Trauer, dass Wut, dass ungelöste Spannung ein starkes, vielleicht sogar gutes Gefühl sein können. Aber auch das ist ein Lernprozess, und hier sehe ich auch einen Denkfehler bei den ganzen Ratgebern. Es ist ja nicht so, dass ein Kind eines Morgens aufwacht, zehntausend neue Verknüpfungen in seinem Gehirn bemerkt und ruft: „Hey, Eltern, ich bin jetzt reif für meine erste Tragödie!“ Oder: „Gebt mir einen Cliffhanger, ich komm da jetzt mit klar!“ Auch der Cliffhanger will gelernt werden. Damit man später mal das volle Repertoire beherrscht, sich sein Leben richtig zu erzählen.
In diesem Sinne folgt als nächstes: Kapitel 18, Das verrückte Labyrinth.
Kapitel 17: Sirenen in der Dunkelheit
Der Waldbach war schon wild genug, doch der Gestank des Kanalsystems ist endgültig zu viel für die Maus. Sie schließt Augen und Nase und hofft, dass Beffaná sie bald an die Oberfläche bringt. Dann wird sie von einem Gesang betört, der sich überhaupt nicht unterirdisch anhört.
Vom Blubbern und vom Rauschen
Kanäle und Abwassersysteme fand ich schon immer faszinierend. Mein Opa hat lange in einem Klärwerk gearbeitet und obwohl ich als Kind sehr geruchsempfindlich war, war ein Besuch in der Kläranlage immer etwas Besonderes. Es gab da diese riesigen runden Betonbecken, in denen es manchmal blubberte und große Mengen Schaum aufstiegen. Oder eine Art Baggerschaufel, die vor einem feinmaschigen Gitter allen gröberen Dreck, vor allem Klopapier und Fäkalien, abschöpfte und in einen großen Container verlud.Und lange dachte ich darüber nach, auf welchen dunklen Wegen wohl das Stückchen Klopapier bis in das Gitter des Klärwerks gelangt war.
Da ich Biologie im mündlichen Abitur hatte, musste ich für den Teilbereich Ökologie recht viel zum Thema Kanal und Abwasserreinigung lesen. Flüsse und Bäche, so lernte ich beispielsweise, haben in der Fachsprache der (Ab-)Wasserwirtschaft eine eigene Bezeichnung: „Vorfluter“. Weil sie „vor der Flut“ kommen, also durch ihre Eigenschaft, Wasser aufnehmen und abfließen lassen zu können, einer Flut vorbeugen.
Dass Beffaná und ihre Maus in Kapitel 17 direkt vom Vorfluter in das Kanalsystem gelangen, ist aus wasserwirtschaftlicher und vor allem gewässerökologischer Sicht wahrscheinlich eher fragwürdig. Aber gut: Alte Kanalsysteme sind – wie der Name schon sagt – alt, und die baulichen und ökologischen Standards waren anno dunnemals wohl weniger restriktiv. Für die Weihnachtshexe und die Maus ergibt sich so die Möglichkeit, in diese übel riechende und zugleich geheimnisvolle und faszinierende Welt einzudringen.
Wenn ich heute zu verstehen versuche, was genau mich damals als Kind eigentlich dazu brachte, eine gefühlte Ewigkeit am Gitter zu stehen, der Schaufel beim Baggern und den Bottichen beim Blubbern zuzusehen und über den Weg des Wassers nachzudenken, dann war es nicht nur die technische Faszination, oder die Tatsache, dass mein Opa als Angestellter der Stadt der „Herrscher“ über diese geheimnisvolle Welt der Kläranlage war. Es war wohl vor allem das Geräusch des Wassers. Das niemals endende Säuseln, Tröpfeln, Rauschen, Murmeln und Plätschern, das sich für mich schon immer wie Musik anhörte.