Liebe Hörer*innen des Beffaná-Podcasts! So langsam geht es in die Zielgerade der diesjährigen Beffaná-Geschichte! Dass ihr bis hierher drangeblieben seid und Euch in der stressigen Vorweihnachtszeit täglich eine Viertelstunde Zeit für die Abenteuer von Sina und der Weihnachtshexe genommen habt, finden wir total toll! Und wir würden uns sehr freuen, wenn ihr Beffaná auf eurer Podcastplattform eine Bewertung hinterlassen könntet. Jedes Rating ist für uns ein kleines Weihnachtsgeschenk und Belohnung genug für die Zeit und die Mühe, die wir in Beffaná gesteckt haben.

Vielen Dank! Und jetzt gehts los mit der heutigen Geschichte:

Donnerstag, 21. Dezember: Triangulation

„Annika! Annika, wo bin ich? Hörst du mich? Annika!“
„Sina!“
„Annika, hier bin ich! Es ist stockdunkel, ich sehe gar nichts. Nichts!“
„Bist du wieder geschlafwandelt?“
„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich! Ich weiß nicht wo ich bin! Hier ist gar nichts! Da ist nur Leere!“
„Aber ich höre dich! Du musst irgendwo im Raum sein! Sieht du mich nicht? Ich habe das Licht eingeschaltet!“
„Wo bist du?“
„Sina! Erinnerst du dich? Wir schlafen heute im Panikraum. Wegen Betül. Aber dein Bett ist leer! Wieso kann ich dich dann hören? Deine Stimme ist… irgendwie überall…“
„Deine Stimme ist auch überall. Annika! Ich habe Angst!“
„Sina, ich habe eine Idee. Kannst du mich nicht… spüren? Du kannst das doch. Konzentriere dich nur darauf!“
„Ich versuch’s ja… Ja, das bist du. Annika, ich hab dich! Ich hab dich! Ich hab dich!“
„Gut! Dann versuch rauszufinden, woher ich… äh… sende? Sagt man das so? Sina?“
„Ja, ja. Holla, du machst dir ja richtig Sorgen um mich! Merci beaucoup, Madame Athos.“
„Keine Witze jetzt! Du musst doch was sehen! Es ist strahlend hell hier, ich hab alle Lichter angeknipst!“
„Warte mal. Vielleicht… Gib mir kurz Zeit…“

„Sina, da bist du ja! Wo warst du?“
Sina blinzelt in das helle Licht des Panikraums. Sie sieht ihre beiden Betten, die an der Wand neben der Tür aufgestellt sind. Direkt neben ihr steht Annika und fällt ihr in die Arme.
„Hast du mich erschreckt! Es ist mitten in der Nacht und du bist verschwunden. Ist das wieder eine neue Facette deiner… Sache?“
„Nein. Ganz sicher nicht. Also, nicht SICHER sicher, aber… Warte noch mal kurz.“
„SINA! Hör auf mit dem Scheiß! Wo bist du jetzt schon wieder?“
„Buuh!“
„(SCHRCKENSSCHREI – FÜR DIE VORLESERIN) Fuck! Wo warst du?“

Jetzt ist sie sich sicher. Sina lacht.
„Hey Annika, ich habe gerade ein geniales Geheimfeature unseres Panikraums gefunden. Ich muss einfach eine Verbindung zu jemandem aufbauen. Wie zu dir gerade. Und dann denke ich ‚Abrakadabra, ich will weg von Annika!‘ Und lande, keine Ahnung. In einem schwarzen Nichts. Oder Andersrum. Ich bin im schwarzen Nichts, stelle eine Verbindung zu dir her und denke: ‚Hokuspokus, Da will ich hin‘!“
„Abrakadabra? Hokuspokus?“
„Ja, nee. Natürlich ohne blöden Spruch.Das war nur., damit du’s dir vorstellen kannst. Aber ist das nicht mega? Warum hat unser Panikraum so eine Funktion und keiner sagt’s uns?!“
Annika schüttelt den Kopf.
„Weiß ich nicht. Wie bist du denn überhaupt in diesem anderen… Raum… gelandet?“
„Das weiß ich nicht. Vielleicht hab ich geträumt? Bin geschlafwandelt? Alter, hab ich eine Angst gehabt gerade, da war wirklich nur Schwarz und sonst nix.“
„Kann ich das auch? Auch ohne deine In-andere-Reinhören-Gabe?“
„Probier’s einfach aus.“
Doch Annika kann’s nicht, und nach 20 Minuten Herumprobieren wird sie langsamen wieder müde.
„Okay, Sina, lass uns nochmal versuchen zu schlafen. Es ist erst halb vier. Okay?“
Sina zögert.
„Klar. Aber… Kann ich bei dir im Bett schlafen?Ich will nicht wieder im Dunkeln landen und irgendwie glaub ich, dass das nicht so schnell passiert, wenn ich dich die ganze Zeit bei mir habe.“
„Na klar“, sagt Annika. „Hauptsache, du bist nicht noch mal verschwunden.“

Als Sina und Annika vor der ersten Stunde nach ihrer Freundin Betül schauen, finden sie sie fest schlafend neben Kess wieder. Besser gesagt: Neben dem, was einmal Kess war und vielleicht wieder Kess werden soll. Die steinerne Sphinx ist zu Dreivierteln komplett. Es fehlen nur noch die Schulterpartie und der Kopf. Betül dagegen ist – grob geschätzt – nur noch dieser Teil geblieben. Ab den Schultern abwärts ist sie unsichtbar. Und: Wenn Sina es richtig sieht, liegt sie, während sie schläft, nicht auf dem Boden, sondern schwebt zehn Zentimeter darüber. Vorsichtig, um nicht versehentlich auf eins von Kess’ Bruchstücken zu treten, geht Sina zu ihr hin und umarmt ihre große beste Freundin im Schlaf. Betül lächelt, lässt sich aber nicht aufwecken.
Auf dem Weg zurück in den Gemeinschaftsraum treffen sie auf Ovid.
„Sina!“, ruft er und holt sie ein, bevor sie den Gemeinschaftsraum erreicht. Annika winkt Sina kurz und verdrückt sich durch die Tür zu den anderen.
„Bleib doch mal stehen, Sina!“
„Ich hab keine Zeit. Du siehst doch, es ist völliges Chaos gerade.“
„Ich sehe, dass du mir ausweichst Sina. Hast du keine fünf Minuten mehr, um mit mir zu reden?“
Sina setzt sich auf den Boden, mitten auf den Flur.
„Ich kann nicht mehr.“
„Was ist denn passiert?“
Langsam hockt sich Ovid neben sie.
„Das weißt du doch.“
Sina reißt sich das Tuch vom Gesicht und pfeffert ihren rechten Schuh durch den Gang.
„Das(!) ist. Und das ist nur das kleinste Übel. Wenn nicht ein Wunder geschieht, hab ich morgen Abend meine beiden allerbesten Freundinnen verloren.“
Ihre Tränen fließen, was über der unsichtbaren Stelle an ihrem rechten Unterkiefer einen interessanten optischen Effekt erzeugt. Die Tränen tauchen in die Leere ein, verschwinden, und tauchen kurz wieder auf, bevor sie auf Sinas Hemd fallen.
„Aber vielleicht gibt’s ja noch ein Wunder“, sagt Ovid. „Ich glaubs irgendwie. Irgendwie haut’s noch hin.“
Sina versucht sich ein Lächeln abzuringen.
„Wieso bist du so optimistisch? Was ist mit Panikraum-Ovid passiert, der wegen eines alten Strohhutes zusammengebrochen ist?“
„Panikraum-Ovid hat genau wie Schweizer-Käse-Sina ziemlich gute Freunde“, sagt er. „Wir haben uns gegenseitig geschworen, dass kein scheiß doom uns sagt, wie’s mit uns weitergeht. Sondern dass wir selbst bestimmen.“
„Leichter gesagt als getan“, sagt Sina.
„Nein.“, sagt Ovid. „Tun ist wirklich einfach. Es nachher zu erklären, das kann tricky sein.“
Dann küsst er sie auf ihre unsichbare Stelle am Unterkiefer und verschwindet im Schlaftrakt.

Kunst fällt aus. Die neue Kunstlehrerin der Schwarzen Klasse, eine gewisse Frau Dr. Döpfner, hat sich soeben mit deutlichen Burn-Out-Symptomen bei Frau Meinecke krank gemeldet und bleibt bis auf Weiteres zuhause.
Stattdessen steht Niklas Sieg am Donnerstag nach dem Mittagessen vor der Klasse im Kunstraum und kommt sofort zur Sache:
„W-was wissen wir, Klasse? Roswitha sagt, bisher wurde ihnen nichts berichtet. Außer hypothetischem… Wie nanntest du es, Roswitha?“
„Bullshit.“
„Bullshit! Kann das sein? Morgen ist Annikas letzter T-tag! W-was habt ihr denn gemacht seit Montag? Nur auf euren Betten herumgelegen? D-dorothea hat heute Mittag mit der Po-po-polizei telefoniert. Die Stöckendorfs haben offiziell Anzeige wegen Entführung ihres Sohnes gestellt. Leute, die sind jede Minute hier!“
‚Jetzt erst?‘, denkt Sina. ‚Er ist schon vier Tage verschwunden! Wie kann das sein? Hat der Stifter sie irgendwie ruhig gestellt? Die von Stöckendorfs sind doch nicht irgendwer…!‘
„Ich hab nix Konkretes. Aber ich habe eine Idee“, sagt Annika.
„Sina und ich, wir haben heute Nacht im Panikraum übernachtet und da haben wir eine interessante Entdeckung gemacht.“
Kurz berichtet sie der Klasse von dem Vorfall heute Nacht und alle lauschen gespannt. Als Annika geendet hat, springt Odette leichtfüßig auf und schaut in die Runde.
„Ich bin dabei. Wollen wir endlich?“
„W-wobei, Odette?“
„Sebastian und Charlie finden! Mann! Annika, wenn du abhaust, bin ich dann wirklich die einzige, die in Normalgeschwindgkeit denkt?!“
„O-odette, jetzt…?“
Doch bevor Niklas weiterreden kann, ist Odette schon leise fluchend aus dem Zimmer und hinterlässt eine Gänsehaut bei der zurückbleibenden Family.
„Annika, b-bitte klär uns endlich auf!“
„Ganz einfach, Dr. Sieg!“
Öffentlich Niklas zu sagen, das traut sie sich wohl noch nicht, denkt Sina. Wäre auch irgendwie seltsam. Ist vielleicht eher ein Ding für abends in seinem Zimmer… Was auch irgendwie seltsam klingt…! Come on! Es geht um einen Jungen mit einem fliegenden Fahrrad! Ach, egal…
„Es ist doch so“, sagt Annika. „Die ganze Zeit haben wir uns gefragt, wohin Charlie Sebastian gebracht haben könnte. Die letzten, die sie gesehen haben, sagen: Charlie ist in Richtung Altbau verschwunden. Im Altbau sind sie aber nicht. Wir haben alles abgesucht.
Jetzt gibt es eine ganz neue Option: Im Panikraum haben Wesen mit mentalen Fähigkeiten die Möglichkeit unsichtbare Räume zu öffnen. So wie’s Sina heute Nacht gemacht hat!
Charlie hat solche Fähigkeiten und überall anders sind sie nicht! Also: Let’s go! Und… Odette hat schon recht: ’N bisschen mehr Tempo beim Denken würde einigen hier echt nicht schaden.“

Es dauert nicht lange, da steht die gesamte Schwarze Klasse unten zwischen zwischen Gemeinschaftsraum und Schlaftrackt vor der Tür des Panikraums.
Sina steht nah an der Tür. Hat Ovid sie gerade angelächelt? Und wenn schon. Ja. Nette Geste.
Nein.
Es war gut. Er hat getan, was er für richtig hielt. So wie’s halt immer bei ihm ist. Er ist manchmal ein Idiot, aber ein 100 Prozent ehrlicher Idiot. Wo ist er jetzt? Sina legt ihre Hand auf den Mund und küsst ihre Finger. Da, wo er steht, kann er sie nicht sehen.
„Wieso geht ihr nicht hinein?“
„Wir haben Angst“, flüstert Emil. „Drinnen gibt es ein Gewitter.“
Sina und Annika drängeln sich vor und schauen durch den Türspalt. Ihm Panikrum wütet Odette wie ein Tsunami über Tokio.
„Komm endlich rein, Schnellmerkerin!“, hört sie sie in ihrem Kopf. „Bring die Schlaue mit und macht die Tür zu! Ich will in Ruhe denken.“
„Wie konntet ihr so lange brauchen?“, zischt Odette. Sie brodelt hinten in der Ecke des Raumes vor sich hin und manchmal zuckt ein Blitz aus ihrer Hand.
Zu Sinas Überraschung ist noch jemand Weiteres im Raum. Roswitha lehnt an der Wand und hebt lässig die Hand zum Gruß.
„Dachte, könnte ganz witzig werden, euch beim Denken zuzuhören. Hab ja schließlich auch mentales…“ Roswitha deuten auf ihren Kopf, „…Zeug im Kopf.“
Odette wütet noch immer:
„Außerdem weiß ich, dass Annika und du bei unserem süßen Doktor übernachtet habt! Schande!“
„Dann weißt du aber auch, dass wir wichtige Dinge zu besprechen hatten!“
„Ich habe auch WICHTIGE DINGE MIT DEM DOKTOR ZU BESPRECHEN! LASS IHN GEFÄLLIGST IN RUHE!“
‚Oh, boy, das kann ja lustig werden, Gipskarton, Gipskarton, Gipskarton!‘
„Schon gut, Sina, wir konzentrieren uns darauf, diese Schlange und den Alien zu finden! Hast du eine Idee?“
„Du meinst, eine bessere Idee als hier ein Gewitter abzubrennen und alles 10 Zentimeter unter Wasser zu setzen?“
Sina läuft zu ihrem Bett.
„Inklusive unserer Matratzen?!“
„Ich besorg euch neue…“
„Ach ja? Ohne die Vorbesitzerin zu verfluchen oder in lebenslange Apathie zu versetzen?“
„DANN KAUF DIR HALT’N FÖHN! Die IDEE, Sina, wie lautet sie!“
„Ich habe von Beffaná gelernt, wie sich Wesen mit mentalen Gaben vor anderen mit ähnlichen Fähigkeiten verstecken. Durch Ablenkung. Wenn Sebastian und Charlie hier irgendwo sind, dann tarnt Charlie ihren Aufenthaltsort vielleicht durch Ablenkung.“
„Charlie ist viel fortgeschrittener als du und ich“, sagt Odette. „Charlie benötigt keine Ablenkung oder andere Tricks. Ich kenne Charlie lange genug.“
„Ja. Aber Charlie muss jetzt nicht nur sich selbst tarnen, sondern auch einen Alien. Vielleicht konzentrieren wir uns auf Sebastian und setzen darauf, dass Charlie bei Sebastian eine ähnliche Methode anwendet, wie es Beffaná bei sich selbst macht. Wenn wir beide versuchen, etwas von Sebastian zu empfangen, dann müssten wir beide einen Ort im Raum lokalisieren können, wo es eine Leerstelle gibt, aus der wir gar nichts empfangen.“
„Kann sein“, zischt Odette „Aber so kriegen wir nur ne ungefähre Richtung raus, wo wir suchen müssen. Wir müssten den unbekannten Ort aus mindestens…“ „…Drei Richtungen anpeilen.“, führt Annika Odettes Satz zu Ende. „Und wie nennt man das?“ „Triangulation!“, sagt Sina. „Oder?“ Annika nickt gönnerhaft. Ha! Endlich, denkt Sina, hat sie den kleinen Poltergeist beim Denken überholt. „Das ist doch der eigentlich Grund, warum du hier bist, Roswitha, oder?“ „Chillt mal, Leute. Ist ja schlimmer als ne Quizshow hier! Aber wenn ich eh schon in der Gegend bin ´, kann ich ja mal in den Äther lauschen und inne Richtung zeigen.“
„Und das verstößt nicht gegen dein doom?“
„In meinem Vertrag steht nirgends, dass ich meinen Arm nicht mal ausstrecken darf.“

Sina konzentriert sich. Odette macht eine Schneller-schneller-Armbewegung, Roswitha pult sich Essensreste aus den Zähnen. Fast gleichzeitig schließen alle ihre Augen.
‚Wo ist die Leerstelle?‘
Sina spürt den kleinen wütenden Wirbelsturm in Odettes Kopf. Annika strahlt eine grundsolide Annikahaftigkeit in den Raum. Von Roswitha empfängt sie fast gar nichts außer leichtem Amüsement und sonst… Und sonst? Nichts. Sehr gut. Konzentrier dich! Wo ist es besonders stark? Wo spürst du immer nur Wiederholungen der drei anderen im Raum? Wo? Wo?
Sina hebt den Arm und öffnet ihre Augen. Die beiden anderen schauen sie an, dann heben sich ihre Blicke auf den gemeinsamen Schnittpunkt der Richtungen, in die ihre Arme zeigen. Da!
„Ihr habt es!“, ruft Annika. „Und jetzt?“
Sina weiß genau, was jetzt.
„Ich gehe rein, Leute!“

Dann mal los!
‚Sebastian, bist du da? Sebastian? Sebastian?
Alles ist schwarz. Sina weiß, dass das ein gutes Zeichen ist. Sie ist in einem geheimen Raum.
„Sebastian?“
„Oh mein Gott, wer ist da?“
„Bist du allein? Ist Charlie in deiner Nähe?“
„Ich bin allein, ich bin seit einer Ewigkeit allein! Wer bist du?
„Das Freak-Mädchen, erinnerst du dich? Das Kellerkind. Ich dachte, ich hol dich hier raus. Hast du Bock?“
„Bitte, bitte! Es ist so furchtbar hier! Es ist ein einziger Albtraum. Es ist die Hölle! Bitte, ich tue alles!“
„Du musst gar nichts tun, Sebastian. So läuft das hier unten nicht. Wir tun Dinge einzig und allein, weil sie richtig sind. Kannst du das glauben? Nimm einfach meine Hand und ich bringe dich raus. Hast du meine Hand?“
„Ich hab sie. Ich hab sie! Oh mein Gott, ich habe deine Hand!“
„Und jetzt, Odette? Annika? Hoffe ich, dass ich euch schnell irgendwo…“
„Komm endlich zurück, Schnelldenkerin! Es gibt es noch viel zu tun.“