Als in der ersten Winternacht
Die alte Frau im Haus erwacht
Da liegt der Rest des Hauses kalt
Vom Balkenknarren untermalt
Sie setzt sich auf, harrt ohne Schwung
Auf Zeichen einer Dämmerung
Sie blickt hinaus mit trübem Blick
Die Wand aus Dunkel starrt zurück
Die schließt die Augen, legt sich hin
Verliert im Dunkeln jeden Sinn
Für Plan und Zweck, Motiv und Zeit
Bestimmung, Zugehörigkeit
Liegt ohne Ziel und fragt sich stumm
Nach einem Grund, nach dem Warum
Als nach der ersten Winternacht
Dann nach und nach das Haus erwacht
Als Teller klappern, Wasser fließt,
Als Stimmenplappern sich ergießt
Ins ganz Haus, bleibt eine still
In ihrem Zimmer und sie will
Nur Helligkeit und neuen Schwung
Und kriegt nur graue Dämmerung
Und als es an die Türe klopft
Zieht sie die Decke über’n Kopf
Und sagt: „Bleib draußen, grauer Tag,
Ich habe nie nach dir gefragt.“
Das ist, wie Günter Beffaná
An diesem Morgen liegen sah
Und er fliegt eilig zu den andern
„Leute, krah, wir müssen handeln!“
Es war eh nur eine Frage der Zeit. Aber als es dann passierte, waren dennoch alle überrascht. Es war spätabends und schon lange dunkel, die Spinnen wollten sich ausruhen und Polly hatte doch nur eine Stunde lang dieses furchtbare Kostüm loswerden wollen. Günter wusste nicht, warum Beffaná ausgerechnet zu dieser unmöglichen Stunde durch den Garten schleichen musste, aber sie hatte es getan und wurde just Zeugin, wie Polly das Godzilla-Kostüm gerade wieder anlegte. jedes Leugnen war sinnlos. Polly stammelte ein „Du hast es doch es gewusst, oder?“, als die Hexe ihm einen vernichtenden Blick zuwarf und er erkannte bereits im selben Augenblick,, dass sie eben nichts geahnt hatte von ihrer Täuschung. Die schlaue, weise Beffaná hatte sich von ihnen an der Nase herumführen lassen und Günter ahnte auch warum: Weil sie sich täuschen lassen wollte. Weil sie Godzilla einfach dringend gebraucht hatte.
Und jetzt? Jetzt liegt sie in ihrem Zimmer und spricht mit niemandem.
„Arme, alte Weihnachtshexe“, denkt Günter.
„Armer, alter Schrödinger“, sagt Schrödinger, der plötzlich neben Günter auf der Anrichte in Niklas Küche sitzt und nach dem Glas Erdnussbutter fischt.
„Kann man denn nicht einmal ein bisschen Pause haben?“
„Niemand hat dich gerufen“, grummelt Günter. Irgendwie lag es in der Luft, dass der alte Panik-Panther auftaucht, wenn alle anderen miese Laune haben. Manchmal fragt sich Günter, ob Schrödingers eigentliche Nahrung schlechte Stimmung ist.
„Ich bin nicht dein Schoßhund oder so was“, sagt Schrödinger. „Ich reagiere nicht auf Rufe. Ich komme, wenn ich kommen will und jetzt will ich.“
Schrödinger leckt sich den letzten Rest Erdnussbutter von der Pfote und läuft die Treppe zu Beffanás Zimmer hoch.
„Komm, Krähe!“ ruft er. „Es ist zu eng hier unten für die Zeitmaschine.“
Es ist eine dieser typisch-beknackten Knurps-Ideen, den Relativitätsrelativierer der Zeitmaschine ausgerechnet mit Dampf zu betreiben, Aber Knurps ist lange tot und immerhin funktioniert das Ding irgendwie, denkt Günter. Doch dann muss er sich korrigieren. Knurps lebt noch. Zumindest in der Zeit, in der sie sich gerade befinden. Nur sollten sie sich hüten ihn zu besuchen, hat Schrödinger Günter eingebläut.
„Und bitte auch die anderen nicht, miau!“ hatte er gesagt. „Ich brauch dann wieder ewig euch zu finden, wenn ihr alles durcheinandergebracht habt.“
Dann ist er abgezogen. Meinte, er wolle die Entdeckung der Erdnussbutter abpassen und dem oder der Erfinder*in ein paar Tipps für die Zubereitung geben.
„Dieser ganze Quatsch rund um diese Creamy-Erdnussbutter ohne Stückchen muss dringend verhindert werden“, sagte er und war verschwunden. Die Zeitmaschine hat er dagelassen, mit eingestelltem Ziel und Start-Countdown, der an einem viel zu großen, roten Wecker angeschlossen ist.
„Ihr habt eine Stunde“ steht auf dem Anweisungszelltel, den die Katze daglassen hat. Schrödinger selbst benötigt keine Zeitmaschine, um quer durch Raum und Zeit zu springen, aber immer, wenn er Mitreisende hat, weicht er auf die Konstruktion von Knurps aus.
„Beffaná kann das Ding auch ohne Anleitung bedienen“, hatte Günter noch gesagt aber Schrödinger wollte davon nichts hören:
„Nicht in diesem Zustand. Wer weiß, wohin sie abhauen würde.“
Jetzt steht Günter zusammen mit der Weihnachtshexe am Rand eines Weihnachtsmarktes. Sie müssen nicht lange suchen, um den Imbisswagen zu finden. Beffaná erinnert sich noch gut daran, wo er damals immer stand. Da es noch früh am Tag ist, verirren sich nur weniger Passanten auf den Weihnachtsmarkt und Beffaná und Günter sind die einzigen Gäste am Stand.
„Hallo Klothilde“, sagt Beffaná. Günter merkt: Die Begegnung fällt ihr nicht leicht. Sie hat einen Kloß im Hals. Und er selbst genauso. Umso mehr, als er die zwei kleinen Helfer neben Klothilde Buddenbrook hinter dem Tresen des Imbisstandes entdeckt.
„Hallo Schussel“, sagt er.
Schussel nickt kurz, doch die Suchmaschine treibt ihn weiter zum Aufräumen an.
„Nur nicht müde werden, alter Schussel!“
Klothilde Buddenbrook ist eine wirklich alte Freundin der Weihnachtshexe und ihre Kroketten haben den Ruf, Kriege entscheiden zu können. Um genau zu sein, haben sie es bereits getan.
Klothilde schaut freundlich hoch und stutzt.
„Kennen wir uns?“
„Schau mal genau hin, Klothilde.“
Langsam scheint bei der Imbissbudenbesitzerin der Groschen zu fallen.
„Beffaná! Du siehst….“
„Alt aus?“ ergänzt die Weihnachtshexe.
„Traurig, Beffaná. Du siehst traurig aus.“
„Gib ihr eine große Portion Kroketten, Klothilde und mir auch“, sagt Günter. „Schrödinger sagt, wir dürfen dir nicht viel erzählen. Nur die Sachen, die ganz zuletzt passiert sind. Und nichts über dich._“
„Ach, Papperlapapp!“ ruft Klothilde. „Die faule Katze will sie nur vor der Arbeit drücken! Aber gut, dass er nicht mitgekommen ist. Ich krieg noch Geld von ihm.“
Beffaná erzählt. Und Klothilde hört zu. Von Zeit zu Zeit stellt sie Günter und der Hexe eine frische Schale Kroketten hin.
„So. Ja“, sagt sie schließlich. „Und jetzt brauchst du eine, die dich wieder in die Strümpfe stellt.“
„Ein bisschen Aufmunterung würde schon reichen“, sagt Günter. „Damit sie wieder unsere alte Weihnachtshexe ist.“
„Kann ich nicht mit dienen“, sagt Klothilde. „Bei mir gibt’s nur meine Kroketten und meine Meinung. Wenn ihr was anderes hören wollt, geht woanders hin.“
„Ich würd’ gern deine Meinung hören“, sagt Beffaná. „Nur darum haben Günter und und Schrödinger mich hergebracht.“
„Glaub ich nicht“, sagt Klothilde. „Ich glaub, ihr seid hier, weil Günter seine Meinung hören will. Nur von mir.“
„Ach Blödsinn“, sagt Günter. „Ich versteh das Problem überhaupt nicht.“
„Das Problem, ist, Krähe, dass du hier mit einer alten Frau aufkreuzt (‚Tschuldigung, Beffaná, aber ist doch so) und ich ihr sagen soll, dass sie bitte wieder so sein soll, wie mit 30. Aber das ist doch Blödsinn! Ich hab mir vorgenommen, den ganzen Quatsch hier mit sechzig zu verkaufen und irgendwo hinzuziehen, wo’s warm ist. Das ist der einzige Rat, den Beffaná von mir kriegen kann. Malle, Grand Canaria oder Ibiza.“
„Aber was ist mit den Monstern?“
„Die können isch gehackt legen, deine Monster! Außerdem siehst du ja noch jung… ah, nee, du musst ja auch schon älter sein, was? Aber egal! Irgendwen werdet ihr schon finden, der den Job macht!“
„Aber Beffaná ist unglücklich!“ ruft Günter. „Wir wollen ihr doch nur helfen, dass es ihr wieder besser geht!“
Beffaná hat zuletzt die ganze Zeit geschwiegen, hat sich hingehockt und die Suchmaschine gestreichelt, als sei sie eine Katze.
„Also hast du keinen Rat, Klothilde?“ fragt sie schließlich.
„Ich hab nur Kroketten und meine Meinung. Und die hab ich euch gesagt. Eine alte Frau ist kein D-Zug und selbst D-Züge gibt’s schon lange nicht mehr. Tut mir leid, jetzt habt ihr extra eine so lange Reise gemacht und kriegt nur so Tüdelkram von mir zu hören.“
„Es ist alles gut, Klothide“, sagt Beffaná. „Allein die Kroketten haben den Tag tausendmal besser gemacht. Dann schnuppert sie.
„Riecht ihr den Wind? Es ist…“
„Nee, Beffaná, das ist wirklich ein bannig dumme Idee!“ ruft Klothilde.
„Krah, sie hat recht, Beffaná! Dieser Wind gehört nicht in deine Zeit. Anil gehört hier hin und wir müssen zurück! Der Wecker klingelt jeden Moment. Wir müssen zurück und einsteigen.“
„Potzblitz!“ sagt Beffaná. „Und aus welchem Grund sollte ich das tun?“
„Weil du sonst alles kaputt machst, alles, was ab jetzt passiert! Es wird alles anders, Beffaná. Schrödinger hat uns gewarnt. Selbst Schrödinger! Bitte sei vernünftig!“
„Nein, sagt Beffaná. „Wenn ich vernünftig bin ,komme ich zurück in ein Haus, das nicht meins ist, und in einen Tag, der niemals hell wird. Ich bleibe, Potzblitz, das ist mein letztes Wort!“