Es liegt ein Funkeln auf der Stadt
Es leuchten tausend Lichter
Ein jeder geht im Sonntagsstaat
Es strahlen die Gesichter
Und ganz besonders fein geputzt
Stolziert die alte Krähe
Dass alle, die sie sehn, verdutzt
Sich flüsternd zu ihr drehen
Sie grüßt gemessen links und rechts
Als sie das Tor durchschreitet
Als hinter ihr man laut dem Bett
Das folgt, den Gruß bereitet
Denn alle Tiere rufen klar
Vernehmlich: „Hallo, Beffaná“
Von ihrem besten Freund geführt
Gehüllt in ihre Decken
Schaut Beffaná sehr angerührt
Vom Bett in alle Ecken
Denn was sie sieht im Zoo ist neu
Und viel ist noch in Planung
Das ist, was sie besonders freut:
Die frohe Zukunftsahnung
Sie kommen zum Aquarium
Und am Bassin der Quallen
Dreht Günter sich zur Hexe um:
„Und hier wird’s dir gefallen?“
Die Hexe nickt. „Holt ruhig den Rest!
Ich werd’ so lange warten!“
Sie schließt die Augen und sie träumt
Von Haien und Piraten
Mit Schrödingers Stümperei hatte es angefangen und Ajas Unersättlichkeit hatte Beffanás Knochen schließlich den Rest gegeben.
„Ermüdungsbruch des rechten Wadenbeins“, lautet Matildes Diagnose. „Ab ins Bett mit dir, alte Freundin. Und absolutes Besenverbot!“
Geraldine und Reinhold trifft auch eine gewisse Mitschuld. Sie hatten Nibbels alten Besen mit derselben Geschwindigkeitsschaltung ausgestattet, die auch ihr alter Besen hatte und, na klar, irgendwann musste sowas schließlich ausprobiert werden. Doch von vorne:
Schrödinger war gekommen, um Beffanas Sturz in die Tiefe zu verhindern. Aber weil er so wütend auf die Hexe war, hatte er mit ihr lediglich die Ebbe übersprungen und sie anschließend ins tiefe Wasser fallen lassen.
„Ich bin kein pupsnormales Taxi und auch kein verdammter Schutzengel!“ hatte er gerufen und war ohne ein weiteres Wort abgehauen. Die alte Hexe verbrachte eine halbe Stunde in der heftigen Brandung des Atlantiks, bis sie es endlich schaffte, sich an einem der niedrigen Felsen festzukrallen und auf die Ebbe zu warten. Das hatte ihr nicht nur eine fette Erkältung beschert, sondern wahrschrinlich auch den ersten Knacks in der Wade, als sie von der Brandung gegen die Felsen gedrückt wurde.
Dort auf dem Felsen hatte Aja sie gefunden und auch den Besen entdeckt, den Beffaná – vor vielen Jahren, wenn man’S genau nimmt – bei dem Kiosk am Strand gekauft hatte.
„Mir ist so kalt, Aja“, hatte Beffaná protestiert, aber es blieb ihr ja garen nichts anderes übrig.
„Ich hab `ne Menge gelernt, während du weg warst“, hatte Aja gesagt, und, naja, so ganz unrecht hatte sie nicht, wobei es immer noch ein wilder Ritt bis nach Hause wurde.
„Wieso hast du bis jetzt gewartet, bevor du mich kontaktiert hast?“ hatte Beffaná gefragt und Aja hatte sie fast ein Looping fliegen lassen.
„Na, du weißt doch jetzt erst, wer ich bin! Aber ich hab dich beobachtet. Und Günter. Und Jacob. Und das alte Sturmgespenst. Ich war viel beim Sturmgespenst. Er hält sich immer dicht an der Fassade, das mag ich auch lieber, als das freie Feld.“
Aja konnte es gar nicht erwarten Beffaná zu zeigen, welche Fortschritte sie gemacht hatte. Und darum flogen sie nicht sofort zurück zu Niklas, sondern Beffaná wollte schauen, ob ihr altes Autowrack auf dem Schrottplatz noch immer da war. Und tatsächlich! Beffanás Schutzzauber war immer noch intakt und hatte alle Tiere und Menschen davon abgehalten, dem Autos zu nahe zu kommen. Beffaná hatte sich mit einer der alten Decken im Auto abgetrocknet und ein paar Sachen angezogen, die noch immer dort verstaut waren und sie war noch eine Runde mit Aja geflogen. Dann allerdings war sie so müde geworden, dass sie sich kaum mehr auf dem billigen Strandbesen halten konnte und es war einfach nur Zufall, dass gerade in diesem Augenblick Günter vorbeigekommen war.
„Hallo Günter“, hatte Beffaná gesagt, nachdem sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, aber die Krähe war ohne ein weiteres Wort weggeflogen. Noch in der derselben Nacht war Beffaná bei Matilde und den Fliegenärzten gelandet, weil sie die Schmerzen in ihrem Bein nicht aushalten konnte. Damals katten noch ein paar Medikamente gereicht und Matildes dringende Warnung, die Sache in Zukunft langsamer angehen zu lassen. Doch dann hatte sich herumgesprochen, dass Beffaná wieder zurück ist und auch wieder fliegt und das hatte Geraldine und Reinhold auf den Plan gerufen. Sie besuchten Beffaná eine Woche vor Weihnachten in ihrer Unterkunft auf dem Schrottplatz und brachten Nibbels frisch getunten Besen mit.
„Wieso schläfst du nicht bei Niklas?“, hatte Reinhold gefragt und sie hatte nur mit den Schultern gezuckt. „Nur so.“
Die korrekte Antwort hätte gelautet: „Weil ich mich schäme und mich meinen Freunden nicht mehr unter die Augen traue“, aber was wusste ein Yeti schon von solchen Sachen?
„Die Karre hier ist eh kuscheliger!“ hatte Reinhold ihr beigepflichtet. Dann aber hatte er gesagt: „Aber falls du doch zu Niklas willst: „Die werden die schon nicht auffressen.“
Als Beffaná jetzt, einen Tag vor Weihnachten, wieder bei Matilde landet, sind die Schmerzen so groß, dass ihr sofort klar ist: Ein paar Tabletten werden nicht reichen.
„Ermüdungsbruch des rechts Wadenbeins“, lautet Matildes Diagnose. „Ab ins Bett mit dir, alte Freundin. Und absolutes Besenverbot!“
Und als sie hört, in was für einem Bett aka altem Auto Beffaná derzeit schläft, wirft sie ihr einen vernichtenden Blick zu, sagt: „Ich Regel das!“ und holt ihr Telefon heraus.
„Das Parlament des unsichtbaren Zoos lädt dich herzlich ein, bei ihnen zu wohnen“, verkündet Matilde schließlich. „Es gibt ein paar warme Plätze im Tropenhaus und im Aquarium…“
„Im Aquarium!“ ruft Beffaná. „Neben den Quallen, wenn das möglich ist. Wir sind Freunde.“
„Okay“. Matilde organisiert den Transport. „Morgen kannst du einziehen.“
„Danke, Mathilde! Ich muss jetzt schlafen.“
„Das stimmt“, sagt die Vogelscheuche, aber zu Beffanás Überraschung zieht sie ihr die Decke weg.
„Aber vorher müssen noch ein paar Dinge geklärt werden.“
Draußen vor der Klinik hält der blitzbankgeputzte Leichenwagen der Ghuls mit der Aufschrift „Kluge Bestattungen“. Dort statt Nahrungsnachschub für die Ghulfamilie befinden sich darin Niklas, Jacob und Günter. Und hinter dem Auto keucht Polly, der die ganze Zeit hinterhergelaufen ist.
„Und das wird jetzt geklärt, bevor du morgen in den Zoo umziehst“, sagt Matilde.
An Beffanas neuem Schlafplatz am Quallenquarium ist es nicht nur schön warm, sie mag auch das blau schimmernde Licht des Wassers, wenn die Beleuchtung angeschaltet ist. Und sie mag es, wenn die Machos unter den Haien und Muränen versuchen, den Quallen Angst zu machen.
„Manche Dinge ändern sich nicht“ denkt aie und schaut, bevor sie zum ersten Mal in ihrem neuen Zuhause einschläft, in den weiß-silbrig schimmernden Sack hinein, den ihr die Zootiere mit kleinen Geschenken gefüllt haben. Da Nahrungsmittel derzeit stark rationiert sind, haben die meisten Tiere schöne Steine hineingelegt oder etwas von sich selbst: Federn, Schuppen, Haare, sogar ein paar kleine Zähne und Stacheln sind dabei.
Wenn es im Frühjahr wieder wärmer wird, denkt Beffaná, zieht sie vielleicht für ein paar Monate zurück auf den Schrottplatz. Und sie freut sich schon, ein paar Runden mit Aja zu fliegen. Der kleine Wind hat noch viel zu lernen, bisher hat Aja sich noch nicht einmal für eine Himmelsrichtung entschieden. Mal weht sie warm und böig aus Südwest, mal eisig aus Nordost. Aber sie hat ja noch Zeit, denkt Beffaná.
Sie möchte gerade schlafen gehen, da bemerkt sie das Loch in der Wand an der Ecke des Aquariums. Potzblitz, denkt sie, wohin das wohl führt? Hat da etwas gepiepst? Früher oder später wird sie es herausfinden. Noch ist ja Zeit. Alle Zeit der Welt.