Wie lang sollte eigentlich die perfekte Kindergeschichte sein? Als ich anfing, Ideen für eine eigene Kindergeschichte zu sammeln, ging mir genau diese Frage lange nicht aus dem Kopf. Obwohl sie natürlich Quatsch ist. Was ist denn bitteschön die Benchmark? Die Aufmerksamkeitsspanne und das Auffassungsvermögen eines vierjährigen Kindes unterscheiden sich nun einmal deutlich von denjenigen eines neunjährigen. Über Unterschiede bei thematischen Interessen, zumutbarer Textschwierigkeit und Stilpräferenzen muss ich gar nicht erst anfangen zu schwadronieren. Es ist eben kompliziert!
Normalerweise ist das der Punkt, bei dem ich an einem Projekt zu zweifeln beginne. Meistens gebe ich kurze Zeit später auf. Es sei denn, es gibt eine wirklich einfache und unschlagbar plausible Lösung. Und es gibt sie tatsächlich! Man guckt sich einfach an, wie die richtig coolen Typen es gemacht haben. Ich also Bleistift und Stoppuhr rausgesucht, Das kleine Gespenst von Ottfried Preußler aus dem Regal geholt und: Wörter gezählt, Vorlesezeit gestoppt, Satzlängen gemessen. Ich hatte zwar relativ genaue Vorstellungen zum sprachlichen Stil der Geschichte, aber diese Basics habe ich mir einfach abgeguckt.
Ich habe mir eine Formatvorlage erstellt und mich bei jedem Kapitel sklavisch an eine bestimmte Zeichenzahl gehalten. Das kann anfangs ganz schön nerven, aber nach ein paar Kapiteln erleichtert es die Arbeit ungemein. Wenn ich zum Beispiel noch eine kleine Last-Minute-Idee für einen Text hatte, konnte ich mich immer fragen: Passt das – allein von der Zeichenzahl – noch rein? Und wenn nicht, bin ich bereit, etwas anderes für die neue Idee zu streichen? Man bekommt recht schnell ein ganz gutes Gefühl dafür, wie viel Handlung und wie viele Personen in ein Kapitel hineinpassen, wie lang die Exposition sein darf, und wie viel Zeit die Hexe und ihre Maus benötigen, um wieder aufzubrechen.
Ich glaube, dass es auch für die zuhörenden Kinder leichter ist, wenn eine Fortsetzungsgeschichte in den einzelnen Kapiteln immer einer ähnlichen narrativen Struktur folgt. Schließlich sind Kinder Gewohnheitstiere, sie lieben Routinen! Sie würden ja auch jeden Tag Spaghetti und Tomatensoße essen, wenn man sie ließe. Und genau wie ich beim Kochen immer wieder versuche, in die Tomatensauce heimlich etwas frisches Gemüse („Igitt, Knackies!“) hineinzupürieren, habe ich eben auch versucht, in die immer sehr ähnliche Struktur der Kapitel kleine Überraschungen hineinzuschmuggeln. Mal struktureller, mal inhaltlicher, mal stilistischer Natur.
Ach so, die Antwort auf die anfangs gestellte Frage lautet: 6.000 Zeichen inklusive Leerzeichen bzw. ca. 1.000 Wörter pro Kapitel. Das entspricht einer Vorlesezeit von 6-7 Minuten, bei normaler Sprechgeschwindigkeit (Die Hörgeschichten sind dann noch mal insgesamt rund 3 Minuten länger, weil noch anderthalb Minuten Titelmusik und anderthalb Minuten Ausgangsmusik dazu kommen).
Schön, dass es Autoren gibt, die sich darum Gedanken machen, wie sie ihre Geschichte so zubereiten, dass sie die anvisierte Zielgruppe nicht über- aber auch nicht unterfordert. Da kann man durchaus an einem Meister wie Ottfried Preußler Maß nehmen.
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