Die Sonne sinkt, das Licht geht an
Die Stände leuchten, jedermann
Und jede Frau, ein jedes Kind
Hält inne, wenn die Rübe singt
Sie liegt auf einem weichen Stuhl
Und neben ihr, der kleine Ghul,
Er haucht den Altus lupenrein
Ins Bühnenmikrofon hinein
„O Weihnachtshexe Beffaná“
Erklingt’s, „Ist für die Monster da“
Und eine alte Lehrerin
Die reckt ihr Lehrerinnenkinn
Sucht nach dem Trick, wie eine Rübe
Klingt, dass sie kein Wasser trübe
Martha, die die Show hier leitet,
Tritt nach vorn, bedankt sich, schreitet
Schnell zu Seite, als recht klein
Ein Pilz im Licht des Spots erscheint
Mit einem Gig, in dem zum Leid
Der Leute, Witz an Witz sich reiht
„Wie heißt ein Pilz im Süppchen denn?“
Fragt er. „Na logo! Supperman!“
Und so gehts weiter, bis zuletzt
Das Publikum nach Hause hetzt
Bis auf die zwei, die trotz der Schwächen
Der Performance milde Lächeln
„Hört mich an!“ ruft der von beiden
Den zwei schwarze Flügel kleiden,
„Wichtig ist, trotz viel Kritik:
Die Leute wollen kein Geld zurück!“
Das Geschenk der Schnecken kommt mit ziemlich genau einem Jahr Verspätung an, gerade in dem Augenblick, als Günter aus der neuen Varieté-Show von Martha auf dem Weihnachtsmarkt zurückkommt. Martha, die immer nach Möglichkeiten zum Geld verdienen Ausschau hält, hat eine Truppe Tiere und Wesen zusammengetrommelt, mit denen sie auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten auftritt. Ihr großer Star ist eine singende Rübe, die mal solo, mal im Duett, Klassiker der Monsterliederwelt zum Besten gibt .Und das Interessante ist: Egal ob „Tentakel-Tango“, „Schaben-Chachacha“, oder „Wollmäuse“, die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt lieben die singende Rübe. Allerdings gibt es inzwischen ein massives Problem mit der Haltbarkeit. Die Rübe Lilith ist über ein Jahr alt und es ist ein reines Wunder, dass sie überhaupt so lange durchgehalten hat. Inzwischen hat Martha eine Sandkiste in einem gekühlten Lagerhaus für ihren Star gemietet, in dem Lilith ihre Zeit außerhalb der Shows verbringt.
Martha hatte Günter gebeten, sich vor allem die Pilzshow anzuschauen und ihr eine ehrliche Rückmeldung zu geben und Günter überlegt auf dem Rückweg zusammen mit Jacob Grimm, wie man es möglichst diplomatisch formulieren kann, dass alles, was Pilze sagen und tun, der letzte Schrott ist. Schimmelpilz Bettie natürlich explizit ausgenommen.
Sie sind gerade bei Niklas’ Haus angekommen, als Jacob plötzlich ausrutscht und ziemlich schmerzhaft zu Boden geht. Der Weg zur Haustür ist bedeckt von Schnecken.
‚Und das im Dezember‘, denkt Günter. ‚Die müssen was Wichtiges auf dem Herzen haben‘. Und er hat recht, sie sind in einer Mission von großer Bedeutung unterwegs. Vor ihm und Jacob bauen sich drei Anführer*innen-Schnecken auf, die sich offenbar ihren Text aufgeteilt haben, um ihn nicht zu schnell wieder zu vergessen.
„Das Geschenk für die, für die… Du bist!“
„…Für die Weihnachtshexe ist fertig… Ich bin eine Weihnachtshexe? War ich? Oder warst du“
„Du bist!“
„Wegen der Geschenkaktion. Du bist!“
‚Immerhin‘, denkt Günter. ‚Es muss sie einen wahnsinnigen Aufwand gekostet haben, sich das Ganze über ein Jahr hinweg zu merken.
Die Schnecken recken ihre Augen in alle Richtungen.
„Wo ist die Hexe?“
„Ihr könnt sie doch sowieso nicht sehen“, mault Günter. („Für die ist es alles einfach entweder hell oder dunkel“,raunt er Jacob zu.)
„Was hast du gesagt?“
„Du bist.“
„Ach so, ja. Du bist!“
Endlich erinnert sich eine von ihnen an die Ausgangsfrage:
„Wo ist die Hexe? Wir haben ein Geschenk!“
Und tatsächlich bewegt sich in der Dunkelheit über die Rücken vieler hundert Schnecken hinweg ein vielleicht Schuhkarton-großes Paket.
„Die Hexe ist fort“ sagt Günter, während Jacob neben ihm zun Boden schaut. „Seit einem Jahr schon.“
Er hatte die Hexe nicht umstimmen können in ihrer Wut und ihrem Trotz.
„Was ist denn dein Plan?“ hatte er gerufen. „Willst du mit deinem Vater reden? Was, wenn du dich selbst triffst?“
Doch Beffaná gab keine Antwort. Als der Wecker an der Zeitmaschine zur Autopilot-Rückkehr in ihre eigene Zeit mahnte, griff Beffaná blitzschnell nach Günter und presste ihn auf die Sitzbank der Zeitmaschine.
„Ich bleibe, und du gehst“, sagte sie.
„Ich bleibe bei dir, egal wie dumm das ist!“ hatte er gerufen, doch die Hexe hatte ihn nicht losgelassen:
„Das hier ist falsch und es ist wichtig, dass du’s nicht noch falscher machst.“
Dann hatte die Zeitmaschine zu piepsen und zu rumpeln begonnen, der Relativitätsrelativierer trat in Aktion und Beffaná war in letzter Sekunde von der Maschine abgesprungen. Es war das erste und einzige Mal, erinnert sich Günter, dass Beffaná ihn mit Gewalt zu etwas gezwungen hatte.
Und dann war es vorbei. Günter landete wieder in Beffanás Gästezimmer und die Weihnachtshexe war fort. Und da war auch kein Schrödinger, der ihm helfen konnte. Günter hatte überlegt, ihn durch irgendeine gefährliche Aktion zum Auftauchen zu zwingen. Aber andererseits glaube er nicht, dass das etwas bringen würde. Beffaná war fest entschlossen gewesen, die Sache durchzuziehen. Sie würde nicht mitgehen, wenn er noch einmal zurückreiste. And das… wars dann.
Sie hatten natürlich alle gemeinsam beschlossen, die Mission auch ohne Beffaná fortzuführen. Niklas hatte eh schon vieles allein gemacht und nur die Übergabe der Geschenke hatten sie bis zuletzt häufig dem Star des Teams, der Weihnachtshexe, überlassen. Eigentlich änderte sich also nichts. Aber uneigentlich änderte sich alles. Denn über das, was geschehen war, wurde auch in der Tier- und Monsterwelt gesprochen. Und irgendwie hatten alle das Gefühl, dass etwas zu Ende gegangen war.
Weihnachten ist bei Monstern keine große Sache. Warum auch? Niemand hat bei der Weihnachtsgeschichte an Monster gedacht und daran, dass sie Teil des Ganzen sein sollten. Weihnachten ist ein Menschen-Ding mit ein paar braven Tieren als Statisten. Es war daher erst einmal befremdlich für viele Wesen, als irgendwann eine unter Menschen aufgewachsene junge Hexe damit anfing, sich Weihnachtsgeschenke für sie auszudenken. Aber so war die Weihnachtshexe, so war Beffaná schon immer gewesen: Einfach mal machen und das tun, was sich richtig anfühlt. Und das war ansteckend. Alle freuten sich über Beffanás Überraschungen. Im Gegensatz zu vielen Geschichten über Beffaná war es aber keineswegs so, dass sie zu Weihnachten armen vergessenen Wesen endlich etwas schenkte, weil sie von allen anderen vergessen worden waren. Diese Wesen waren weder arm, noch vergessen. Sie waren, für Monster-Verhältnisse, normal. Eben Monster-Normal. Und Beffaná schaffte, dieses ziemlich normale Monsterleben durch ihre Geschenke noch ein bisschen schöner zu machen. Klar, die Krähenpost brachte immer wieder rührende Stories über die Aktionen der Hexe heraus. Aber eigentlich sind die Geschichten über die Weihnachtshexe Beffaná in der Tier- und Wesenwelt keine Robin-Hood-Geschichten. Eher sind es Abenteuer-Geschichten über eine leicht planlos herumwirbelnde Weihnachtshexe, die ziemlich häufig einfach irgendwo auftaucht und coole Gimicks dabei hat. Ein bisschen, denkt Günter jetzt, muss Beffaná vielen, die in dieser Welt leben, so vorkommen, wie es ihm mit Schrödinger geht.
Als die Schnecken abgezogen sind, öffnen Jacob und Günter das Geschenk, das sie zurückgelassen haben. Es ist ein Sack. Ein neuer, weiß schimmernder Geschenksack, allerdings aus reiner Seide, ganz offenbar exklusiv von Seidenraupen gefertigt. Günter hat keine Ahnung, welche Art Verbindung es zwischen Raupen und Schnecken gibt, aber irgendein Freundschaftsding muss da laufen, denkt er. Es muss sehr lange gedauert haben, so viel Seide herzustellen.
Sie legen den Sack sorgsam zusammengefaltet in den Schrank in Niklas Gästezimmer, in dem auch Nibbels Geschenk, der alte Hexenbesen, und Beffanás andere Sachen aufbewahrt sind.
Günter ist nicht mehr so häufig bei Niklas. Irgendwie, das spüren sie alle, ist so ganz ohne Beffaná die Luft ein bisschen raus aus dieser ganzen Weihnachtssache. Günter verabschiedet sich von Jacob und sucht hat nach Niklas, um sich auch von ihm zu verabschieden. Als der sonst nirgends zu finden ist, fliegt Günter nach oben, in Niklas privaten Bereich. Günter überlegt, ob Niklas Schlafzimmer wohl das gleiche ist, das früher sein Kinderzimmer war. Das Kinderzimmer, in dem er sein erstes Wesen getroffen hat: Stunk, das Bettenmonster. Zu Günters Überraschung rumpelt es unter dem Bett, als er am Zimmer vorbeigeht.
„Professor Stunk?“ ruft er. Er mag es, Stunk so zu nennen. Inzwischen ist Stunk emeritiert, also nicht mehr an der Uni, wo er viele Jahre lang Menschenkunde gelernt hat.
„Günter?“
„Geht’s dir gut?“
„Hm. Manchmal liege ich hier unterm Bett und höre die alten Geschichten, die Niklas mir mal zu Weihnachten auf Kassetten aufgenommen hat.“
„Damit du keine Angst mehr hast…“
„Verrückt oder? Beffaná fand das sooo toll, dass sie Niklas gleich zum Partner gemacht hat.“
„Also hast du dich über das Geschenk gefreut?“
„Wahnsinnig gefreut. Zum ersten Mal fühlte ich mich, ja, gesehen.“
„Hör auf mit den blöden Sprüchen“, ätzt Günter. Andauernd kokettiert Stunk damit herum, dass er als unsichtbares Monster benachteiligt wird, dabei ist unsichtbar-sein Günters Meinung nach einfach nur toll.
„Irgendwelche Pläne für Weihnachten?“ fragt Günter.
„Nee“, sagt Stuck. „Wird wirklich Zeit, dass Beffaná zurückkommt.“
„Warum glaubst du, dass sie zurückkommt?“
„Ich hoff es einfach“, sagt Stunk. „Ohne sie ist einfach kein Weihnachten.“
„Und wenn sie nicht wiederkommt?“
„Dann war’s letztes Jahr das letzte richtige Weihnachten für mich, schätze ich. Aber, naja, wir haben ja zum Glück noch die ganzen Geschichten. Ich mag die Geschichten.“
„Ich auch.“ Kein Wunder, Günter hat viele davon selbst geschrieben. „Was magst du am liebsten?“
„Den Wind. Immer wenn er auftaucht, passiert etwas. Dann heult er auf und trägt den Besen über alle Dächer, alle Wipfel, alle Häuser in die kalte Winternacht hinein. So wird’s doch gesagt, oder?“
„So wird’s gesagt. Danke Stunk! Ich glaub, ich muss jetzt auch mal raus, auch noch mal `ne Runde fliegen.“
Günter fliegt nur einige wenige Meter, da merkt er bereits, dass etwas anders ist. Die milde Luft der vergangenen Tage, wird immer wieder von eisigen Böen durchbrochen. Einmal kann er sich nicht mehr stabil in der Luft halten und knallt fast in eine Kiefer hinein, bevor er wieder ruhig im Wind liegt.
„Nordwind“, denkt Günter. „Das erste Mal seit langer Zeit.“
Und dann hört er in der Ferne eine Stimme schimpfen.
„Hör gut zu, Freundchen! Fast wär ich runtergefallen, Potzblitz. Mach das noch einmal, und…“
„Was? Und? Und was, Beffana?“ antwortet etwas. „Hui, setzt dir’n Helm, auf, Oma, wenn’s dir zu heftig wird. Ich fange gerade erst an!“